Heute ist es so weit und wir können endlich mit der Forest Railway fahren. Diese wurde 1912 von den Japanern erbaut. Im Zuge der vielen Modernisierungsprogrammen, die die Japaner in Taiwan während ihrer Herrschaft gestartet haben, gehörte neben der Einführung von modernen Schulen und Schulpflicht vor allem der Bau der Eisenbahn. Die gesamte Insel wurde dabei mit einem Schienennetz versehen um sowohl die Wirtschaft zu fördern, als auch im eigenen Land das Reisen zu ermöglichen. Dies wurde u.a. dadurch auch Bestandteil der schulischen Ausbildung, neudeutsch Schulausflug und Klassenfahrt. Alishan Forest Railway erfüllte dabei ursprünglich vor allem wirtschaftliche Funktion, nämlich zur Sicherstellung der für Konstruktionen benötigten Holzlieferungen. Tatsächlich werden auch heute noch die alten Waggons und Loks genutzt, diese wurden allerdings auf Diesel oder die ersten Dampfloks auf Ölfeuerung umgestellt. Die Wagons wurden innen sich modernisiert und bieten keine Holzbänke mehr, zum Glück.
Aber der Reihe nach. Erstmal müssen wir früh aufstehen und wir haben den früheren Bus gewählt, um etwas Puffer zu haben. Nach der hervorragenden Nacht, auf Grund unserer Nachbarn, schleppen wir uns zur Bushaltestelle und checken auf der Straße stehend, mittels Schlüsselübergabe, aus. Die Eigentümer informieren uns, dass der Bus laut App in 26 Minuten kommt. Wir haben also noch etwas Zeit für einen kurzen Gang zum Lieblings Kiosk. Der Bus kommt genau wie angesagt und los geht die Fahrt. 4 Bushaltestellen weiter sagt der Busfahrer etwas auf Mandarin. Viele Personen stehen auf und gehen raus. Ich schaue mich um und stelle fest, dass neben allen Westlern immerhin noch 4 chinesisch Personen sitzengeblieben sind. Ich vermute, der Busfahrer will Pause machen. Oder aber die chinesisch aussehenden Personen verstehen kein Mandarin und sind entweder aus einem anderen Land (eigentlich ähnlich wie in Europa schon halbwegs gut unterscheidbar) oder sind Bananas. So bezeichnet man hier Ausländer-Asiaten (Aussen gelb, innen weiß). Der Busfahrer scheucht auch niemanden raus, das ist schon mal beruhigend, schließlich möchte ich nicht meine Bahn verpassen. Wir sitzen eine Weile dort rum und fragen uns, was wohl passiert. Nachdem einer der ausgestiegenen Asiaten nach 6 Minuten wiederkommt, bin ich relativ sicher, dass es sich um eine Pause handelt. Der Busfahrer hupt nach 10 Minuten mehrmals und die restlichen Passagiere kehren zurück (vermutlich, gezählt hat keiner).
Die Fahrt setzt sich ohne Probleme fort und wir kommen 10:40 an der Alishan Station an, noch 1 Stunde bis zur Abfahrt. Wir chillen die Zeit am Bahnhof und nach 40 Minuten fährt unsere Bahn ein, wir steigen ein und machen es uns gemütlich. Die heutige Bahnfahrt wird ca. 4 Stunden dauern und uns nach Chiayi bringen; von dort nehmen wir den Highspeed Train nach Tainan.
Die Bahnfahrt ist absolut spektakulär und macht eine Menge Spaß. Der Verlauf der Strecke führt fast ausschließlich durch den Wald und bietet neben einer hervorragenden Atmosphäre immer wieder tolle Ausblicke von weit oben auf das Umland.
Unterwegs kommen wir an kleinen Bergdörfern vorbei und die Einwohner winken fleißig. Wir natürlich auch. Der einzige größere Zwischenstopp, bei dem Personen ein- und aussteigen, ist in Fenqihu, ansonsten sind die Haltestellen mehr für die bestehende Möglichkeit als für die tatsächliche Nutzung während unserer Fahrt vorhanden.
Die Zeit vergeht wie im Flug und wir kommen in Chiayi an, eben dem Bahnhof an dem wir noch vor ein paar Tagen wild hin und her gelaufen sind, um das richtige Busticket zu ergattern. Noch ein paar Fotos und dann heißt es Abschied nehmen von der Forest Railway.
Dieses Mal nehmen wir ein Uber statt den Bus zur HSR Station, der Schnellzug Station. Der nächste Zug kommt in 25 Minuten und hat auch noch Sitzplätze verfügbar. Somit haben wir nur eine kurze Wartezeit am Bahnhof. Auch die Bahnfahrt von Chiayi nach Tainan dauert nur 18 Minuten und so haben wir uns kaum hingesetzt und sind schon dort angekommen. Am Bahnhof angekommen, bin ich schlagartig maximal verwirrt. Noch nie habe ich ein so starkes und täglich grüßt das Murmeltier Gefühl gehabt. Hier sieht alles haargenau so aus wie am Bahnhof, von dem wir abgefahren sind. Deshalb frage ich Isa allen Ernstes, „Moment, sind wir am gleichen Bahnhof wieder ausgestiegen“, was natürlich angesichts der Zeitspanne gar keinen Sinn macht… Wie komme ich darauf? Es handelt sich um den absolut identischen, baugleichen Bahnhof! Nicht nur das, ebenfalls die Läden 7-Eleven, Starbucks, Mos Burger usw. sind an beiden Bahnhöfen an identischer Position vorhanden. Dies schließt die Bushaltestelle vor dem Bahnhof ein, nur dass die Busse hier andere Ziele haben. Puuh, Glück gehabt, keine Zeitschleife, also ab ins Zentrum von Tainan.
Tainan ist das kulturelle Zentrum Taiwans und die ursprüngliche Hauptstadt. Die Stadt ist der am längsten besiedelte Ort Taiwans, mit Funden die 30.000 Jahre zurückdatieren und deshalb das kulturelle Schwergewicht auf unserer Reise. Der Name steht für Taiwans Süden mit Tai=Taiwan und nan=Süden, ähnlich also wie bei Taichung. Früher wurden Karten von Taiwan sogar so gezeichnet, dass Tainan im Vordergrund lag und der Rest der Insel dahinter. Quasi eine schräge Perspektive und keine Vogelperspektive. Verantwortlich dafür waren wir Europäer, die die Bucht von Tainan als perfekten Ankerplatz auf ihren Ostindien Reisen angesehen haben und deshalb besonders prominent dargestellt haben. Eingenommen wurde Tainan zuerst von den Niederländern in 1624. Etwas zur gleichen Zeit siedelten die Spanier von den Philippinischen Inseln aus nach Taiwan und besetzten Tamsui, wo wir zu Beginn unserer Reise waren. Es kam zu Streitigkeiten und die Niederländer vertrieben die Spanier und Tainan wurde damit zur Hauptstadt. Die Niederländer wiederum wurden 1662 von einem Ming General sowie von den Ureinwohnern vertrieben, unter anderem durch eine erfolgreiche Schlacht des Generals beim Fort Zeelandia. Auch nach dem Herrschaftswechsel zu der Ming Dynastie, bzw. genauer gesagt durch einen Ming-General der das „Kingdom of Tungning“ ausgerufen hat, sowie zu Beginn der Qing Dynastie ist Tainan bis 1887 Hauptstadt von Taiwan geblieben. Abgelöst wurde Tainan durch Taipei, dessen Hafen in der Zwischenzeit deutlich bedeutsamer geworden ist und deshalb von der Qing Dynastie als neue Hauptstadt festgelegt wurde.
Wie ihr seht schon eine sehr bewegende Geschichte, welche ich mir deutlich mehr im Detail angucken und selber erleben möchte. Wir fahren vom Bahnhof erstmal zum Hotel und nach einer kurzen Dusche geht es direkt zum Essen. Von den letzten Tagen sind wir ausgezehrt. Selbst Isa, die Instant Nudeln okay fand und sowas häufiger auf ihren mehrtägigen Touren isst, sagt, dass sie sich auf das gute Essen jetzt wirklich freut.
Ich suche ein Restaurant aus und wir gehen auf direktem Weg dorthin. Vielleicht etwas ausgehungert von den letzten Tagen bestelle ich eine großzügige Auswahl an lokalen Spezialitäten, von „Stinky Tofu“, über „fisch-riechende Aubergine“ bis „Sizzling Beef“. Mag sich vielleicht im ersten Moment komisch anhören, ist aber alles sehr lecker. Für die, die sich fragen, was das bedeutet. Stinky Tofu ist, ähnlich wie bei Käse, ein fermentierter Tofu, der – auch wie bei Käse – einen gewissen Eigenduft annimmt. Bei „fisch-riechender Aubergine“ handelt es sich um ein vegetarisches Gericht, tatsächlich kommt der Name daher, dass die gleiche Gewürzmischung in der Szechuan Region sonst eher für Fischgerichte genutzt wird.
Viel mehr gibt es am heutigen Tag auch nicht mehr. Nach der langen Reisezeit ist es nämlich schon spät und wir gehen ins Bett, um am nächsten Tag Fit zu sein für Tainan.
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